Sommerzeit ist Paarungszeit
Die Wirtschaftskrise scheint sich trotz aller Ängste vor der Zukunft nicht auf das Paarungsverhalten der Deutschen auszuwirken, denn im Moment wird geheiratet was das Zeug hält. Jeder Hans und Franz setzt Kinder in die Welt. Deshalb wird es Zeit für einen höchst subjektiven Blick auf dieses Phänomen.
Wer in den letzten Wochen nicht mindestens fünf Hochzeitseinladungen in seinem Briefkasten fand oder auf diversen Junggesell(in)enabschieden Zeuge der Abgründe war, die solche Veranstaltungen mit sich bringen, gehört vermutlich einer aussterbenden Rasse an.
Doch auch wenn man vor diesem Rummel verschont bleibt, drängen sich die vielen dickbäuchigen, werdenden Mütter ins Blickfeld, die kein anderes Thema als die bevorstehende Geburt ihres kleinen Lieblings haben. Auf Partys bringen die, die diesen Teil des Grauens schon hinter sich haben, ihre mehr oder weniger frisch geworfenen Sprösslinge mit und plötzlich ist nichts mehr wie es war.
Es darf nicht geraucht werden, zu viel getrunken natürlich auch nicht und die Mütter in der Runde beherrschen das Gespräch, in dem sie mit den frisch erworbenen Kompetenzen ihrer Bälger prahlen – „Meine Kleine kann schon eine ganze Hörbuch-CD am Stück hören“ – Wahnsinn, nein Elternstolz.
Doch bevor es unübersichtlich wird, eins nach dem anderen. Zuerst kommt das Abschiednehmen vom Single-Dasein, das gebührend gefeiert werden muss. Dies kann mehr oder weniger peinlich vonstatten gehen. Während sich die einen albern anziehen und sich mit alkoholbedingtem Gekreisch in den Straßen der Stadt zum Affen machen und peinliche Dinge verkaufen, rotten sich andere zum gemeinsamen Besäufnis zusammen und machen eigentlich nichts anderes, als sie ohnehin einmal in der Woche tun, geben dem Ganzen aber einfach einen anderen Namen.
Zu späterer Stunde eines solchen Zusammenseins, fragt man sich gelegentlich, warum die betreffende Person überhaupt den Partner heiratet über den sie schon seit geschlagenen zwei Stunden lästert, weil er scheinbar nichts taugt und eh alles falsch macht. Wenn das Thema dann ausgelutscht ist, kommt die anzuheiratende Verwandtschaft dran, die meistens auch nicht gut wegkommt.
Vielleicht sollte man diese geistigen Ergüsse direkt auf den Computer des künftigen Partners streamen, damit ließe sich sicher die eine oder andere Verbindung verhindern. Was ist nur aus dem guten alten Polterabend geworden, auf dem alle Freunde, Familienangehörigen und wer sich sonst noch so zugehörig fühlte miteinander feierten und außer einem Berg zerbrochenem Geschirr kein weiteres Entertainment-Programm zu erwarten war. Vermutlich wir es demnächst sogar ein Nintendo DS-Spiel geben, mit dessen Hilfe man die verschiedenen Versionen einer solchen Abschiedsveranstaltungen durchspielen kann. Das spart dann auch die lästigen Geschichten derer, die es schon hinter sich haben und immer wieder zum Besten geben müssen, wie peinlich-toll es war.
Ist dieser Teil durchgestanden, kommt die Traumhochzeit. Der schönste Tag im Leben einer Frau – Kostenpunkt einige tausend Euro – aber wen stört das schon, wenn doch alle glücklich dabei sind. Alles soll stimmen, die Dekoration zu den Schuhen der Braut passen und dass sich an diesem Tag die meisten Hochzeitsgäste nicht kennen, soll dabei nicht weiter stören. Hauptsache die Veranstaltung ist beeindruckend und die professionell gemachten Fotos zeugen noch Jahre später von der unglaublichen Liebe und Harmonie, die diesen Tag kennzeichnete.
Doch eine Sache kann immer schief gehen, wenn man hier im Norden wohnt – das Wetter – das Grauen aller Hochzeitsfriseurinnen. Und Bräute. Da müssen dann schon mal zwei bis fünf Flaschen Haarspray geopfert werden, aber es ist ja für einen guten Zweck. Der Eventcharakter der heutigen Hochzeiten ist bezeichnend für die Zeit, in der sie stattfinden, denn es wird medialisiert, was das Zeug hält, von der großangelegten Powerpointpräsentation, die die peinlichsten Bilder aus der Kindheit und Jugend der Brautleute vorführen, bis zu den allgegenwärtigen Digicams, denen man als Gast kaum entkommen kann. Kaum einen Tag danach werden die Hochzeitsfotos dann global-elektronisch verteilt und auch die alten Schulfreunde in Timbuktu können sich mitfreuen. Aber was soll man denn sonst in der Hochzeitsnacht machen, die Jungfräulichkeit ist ja eh schon längst dahin.
Doch ob verheiratet oder nicht, einen großen Grund zur Freunde bieten die allgegenwärtigen Kinder, seien sie jetzt schon geboren oder noch im fötalen Zustand. Wer keins hat, ist raus aus dem Gesprächskreis, denn da dreht sich alles um Geburtsanekdoten, Krabbelgruppen und das Für und Wider roter Handtücher während der Schwangerschaft. Schöne neue Welt, in der sich die werdenden Eltern in geburtsvorbereitenden Foren austauschen können. Ist das Kleine dann endlich da, wird wieder aller Welt auf allen Plattformen mitgeteilt, wie süß und gelungen es doch ist, bewiesen durch zahlreiche Bilder und Videos. Trifft man sich dann in alter Runde, dreht sich plötzlich alles nur noch um das anwesende Kind, das ja so niedlich ist und von allen bespaßt wird.
Die wenigen, die dem Bann widerstehen und das Kleine nicht alle fünf Minuten halten wollen oder auf die eiei-duttidutti-Sprachreduktion verzichten, werden schief angeschaut, als hätte sie vorgeschlagen den Zwerg zu schlachten und auf den Grill zu packen. Ein Gespräch über interessante Themen ist in diesem Umfeld unmöglich und man könnte meinen, mit dem aufkeimenden Wunsch ein Kind zu haben, sterben gleichzeitig diverse Hirnareale ab. Vielleicht wird es ja in ein paar Jahren wieder spannend, wenn die eine Hälfte der Kinder dreimal am Tag Ritalin nimmt oder es in Gesprächen um die Einklagbarkeit von Schulnoten geht, aber bis dahin …
Wer glaubt sich dem ganzen Wahn entziehen zu können, hat wenige Möglichkeiten, vor allem wenn ein gewisses Alter der Peer-Group erreicht ist. Für eine Weile half es noch, sich mit Vertretern der männlichen Spezies Anfang zwanzig zu umgeben, da sie dem Thema Kindern und Familie entspannt ablehnend gegenüberstanden, doch der Zug ist abgefahren, denn auch die Mitte Zwanzigjährigen hat der Virus erfasst und sie planen jetzt ihre Elternzeit und vermutlich auch die eigene Hochzeit. Also wird es demnächst wieder Einladungen regnen und der Zirkus geht von vorn los. Da bleibt nur das Eine – Augen zu und durch – vielleicht lernt man ja auf der nächsten Hochzeit jemanden kennen, der trotz einer eigenen glücklichen Beziehung nicht gewillt ist, sich in die Hochzeits- und Kindermaschinerie hineinziehen zu lassen und statt dessen daran interessiert ist, sich über die wirklich interessanten Themen dieser Welt zu unterhalten.
Elemente von sozialen Netzwerken übertragen Daten, ohne dass sie tatsächlich angeklickt werden. Aus diesem Grund musst du bei uns den Button vor der Benutzung erst aktivieren.