Auch zwei Tage nach dem Amoklauf in Emsdetten sind die Medien voll mit Erklärungen, Ansätzen und Vorwürfen. Es werden Experten zu Rate gezogen und Argumente abgewogen. Doch eines zeichnet sich sehr deutlich ab, die Meinungen sind stark polarisiert, denn erfreulicherweise machen sich auch immer mehr Politiker stark dafür, die Problematik nicht mehr so einseitig wie noch vor vier Jahren zu betrachten, was meiner Meinung nach ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung ist.
Einige Stunden nach dem Amoklauf kam es, wie schon berichtet, sehr schnell zu der Heranziehung der bekannten Erklärungsmuster die Tatmotive betreffend. Und auch gestern und heute haben sich verschiedene Politiker zu Wort gemeldet, unter anderem der allseits beliebte bayrische Innenminister Beckstein mit der Aussage:
“ Mir macht niemand weiß, dass Killerspiele ungefährlich sind. Selbstverständlich tragen sie dazu bei, dass junge Menschen abgestumpft werden und Gewalt für etwas Selbstverständliches halten.“ (Oldenburger Nordwest-Zeitung)
Und auch Edmund Stoiber machte deutlich, dass er sich dafür stark machen wollen, dass die Initiative zum Herstellungs- und Verbreitungsverbot von so genannten Killerspielen sich erneut in den Bundesrat einbringen wolle.
Jedoch konnte man gestern und heute Zeuge werden, dass sich wohl wirklich schon ein Perspektivenwechsel abzeichnet, denn Hardliner wie Stoiber, Schünemann & Co. werden von vielen anderen Politikern aus allen Parteien mehr oder weniger direkt aus dem Rennen geschickt, da diese eben nicht der Meinung sind, dass sich durch ein einfaches Verbot der entsprechenden Spiele das Problem lösen lasse. So kritisieren die Grünen die Forderungen der Union als ‚Pawlowschen Reflex‘, da die Computerspiele immer dann als Sündenbock herangezogen würden, wenn ein solch spektakulärer Fall das Versagen der Bildungs- und Jugendhilfepolitik deutlich machen würde. Sie bezeichnen ein solches Verhalten als zynisch und unzeitgemäß.
Diese Haltung ist aber nicht ein Ergebnis des Zufalls, sondern das Resultat der vielen Bemühungen aus der Gamerszene, sich konstruktiv und offen mit dem Thema auseinander zu setzen und immer wieder darauf hinzuweisen, dass es eben nicht damit getan ist, von Verbot und Zensur zu sprechen. Doch auch die Instituionen die sich aus dieser Szene heraus gebildet haben, leisten tagtäglich ihren Anteil, indem sie den Dialog mit denen suchen, die sich eben nicht mit den einfachen Erklärungsmustern zufrieden geben wollen, sondern auch etwas genauer hinschauen. Nicht zuletzt auch die Jounalisten, die es aufgegeben haben nur die Meinungen zu veröffentlichen, die den üblichen Klischees entsprechen, sondern auch bei Sozialwissenschaftlern und Pädagogen die Motive hinterfragen und diese Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich machen.
Ein Beispiel dafür ist der ESB, der gestern eine entsprechende Pressemitteilung veröffentlichte. Darin äußert sich Frank Sliwka zu den bereits einige Stunden nach der Tat geäußerten Vorwürfen in Richtung Counter-Strike und Co. Er vertritt die Meinung, die auch viele andere Soziologen und Psychologen in den letzten beiden Tagen unterstützt haben, dass man nämlich bei einem erhöhten Medienkonsum, der teilweise auch recht einseitig ein bestimmtes Spiel präferiert, maximal von einem Symptom für soziale Isolation ausgehen könne und keinesfalls von einem Auslöser oder einem Katalysator. Weiterhin fordert er die Computerspieler und ihr Spiele nicht zum Sündenbock zu machen, für Probleme die gesellschaftlich-sozialer Natur sind. Und wenn man die Berichte der letzten Tage betrachtet, scheint der Trend glücklicherweise auch immer weniger in diese Richtung zu gehen.
Doch auch Politiker wie Thomas Jarzombek (Beauftragter für Neue Medien der CDU-Landtagsfraktion NRW) warnt davor eine Tat wie diese monokausal erklären zu wollen, denn dies ist schlichtweg unmöglich. Desweiteren lenkt er die Aufmerksamkeit auf die Wege, die nötig sind um im Vorfeld in die richtige Richtung zu agieren, nämlich die schon oft erwähnte Ausbildung der Medienkompetenz durch Pädagogen und Eltern und den Dialog zwischen Kindern und Eltern über die Spielgewohnheiten, jedoch nicht auf einer vorwurfsvollen, sondern auf einer dialogbereiten Ebene.
Diese Ansätze kann ich nur unterstützen, denn viel zu oft ist leider Desinteresse und Ignoranz Alltäglichkeit in deutschen Familien und Schulen. Es existiert zu wenig Bereitschaft von Seiten der Pädagogen und Eltern sich tatsächlich in dieses für sie weitestgehend unbekannte Terrain zu begeben und sich damit auseinander zu setzen, ein Problem, das auch der Pädagoge Wolfgang Bergmann aus Hannover in seinem Interview mit der „Zeit“ thematisiert, in dem er sehr hart mit dem derzeitigen Bildungssystem ins Gericht geht und dazu ermuntert einen Paradigmenwechsel vorzunehmen. Auch der Vorsitzende der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) meldete sich in diesem Zusammenhang zu Wort:
„Schulen sollen Orte eines vertrauensvollen Miteinanders sein, in denen jeder gefördert und unterstützt wird. Sie sollen alle jungen Menschen einbinden. Dabei dürfen die Lehrerinnen und Lehrer aber nicht alleine gelassen werden. Zu den Unterstützungsmaßnahmen gehört auch die institutionelle Zusammenarbeit von Schule, Schulaufsicht und Jugendhilfe. Schulsozialarbeiter gehören an jede Schule, um präventiv und in Konflikten Ansprechpartner zu sein. Darüber hinaus sollten Schulpsychologen jederzeit erreichbar sein. […] Ich warne dringend davor, per Ferndiagnose vorschnelle Schlussfolgerungen zu ziehen und übereilte Maßnahmen zu ergreifen“
Das ein gewisses Desinteresse an diesem Thema vorhanden ist, musste ich gestern leider auch in der Realschule in Schleswig-Holstein machen, in der ich arbeite. Trotz einer fast dreistündigen Lehrerversammlung in der alles Mögliche besprochen wurde, kam es zu nicht einem Satz über den Vorfall von Emsdetten. Auch im Kollegium wurde nichts in Richtung Amoklauf überhaupt nur erwähnt. Man geht zur Tagesordnung über, akzeptiert, dass die zugewiesenen Gelder nicht für einen Sozialpädagogen an der Schule ausreichen und teilt die Schüler weiterhin eifrig in einfach definierte Kategorien ein, wobei die Schublade der Außenseiter und Störenfriede recht entspannt immer größer wird, da man ja gar nicht die Zeit hat sich mit deren Problemen zu beschäftigen, die sollen doch schließlich was lernen und die Lehrer nicht mit ihren Problemen belasten. Es wird zugeschaut, wie Schüler andere mobben und sie aufgrund ihrer nicht vorhandenen Markenklamotten ausgrenzen und nur sehr wenige Pädagogen schreiben es sich auf die Fahnen diese Dinge so thematisieren und problematisieren. Diese müssen in ihrem Bestreben mit Eltern und Schülern in Dialog zu treten unterstützt werden.
Diese Unterstützung kann und sollte auch aus der Community heraus geleistet werden, denn wer kennt sich besser mit dem Thema aus, als diejenigen, die aktiv mit Vorurteilen behafteten Spiele spielen. An den Kommentaren zu dem am Tag des Amoklaufes erschienen Artikel und den vielen Forenposts im Netzwerk, kann man deutlich sehen, dass auch in der Community ein entsprechender Diskussionsbedarf vorhanden ist und sich aktiv mit dem Thema auseinander gesetzt wird.
Es ist also immer noch viel zu leisten in Sachen Aufklärung und man kann nur immer wieder diejenigen ermuntern, die tagtäglich versuchen ihren kleinen Betrag zu leisten, denn proaktives Handeln in diesem Bereich ist der einzig richtige Weg um Vorfälle wie in Emsdetten, Erfurt und Littleton zu verhindern.
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